Illustration «Lilly hupt»

Episode 2

Lilly hupt

Lilly Binder trifft zwei Kantonspolizisten. Den einen sogar sehr empfindlich. Zwischen die Beine.

Kantonspolizist Frunz leuchtete mit seiner Taschenlampe ins Innere des Wagens, während sein Kollege Hitz die Strasse sicherte. «Da liegt ja eine vornüber auf dem Steuerrad», sagte Frunz und klopfte gegen die Scheibe. «Hören Sie mich?» Das schwarze Ford Mustang Coupé, Baujahr 1967, stand mit laufendem Motor und hupend vor der Ampel an der Schulhausplatz-Kreuzung. Geradeaus, in Fahrtrichtung, thronte das farbig beleuchtete Schloss Stein. Rechts, direkt neben der Strasse, war der Badener Stützpunkt der Kantonspolizei Aargau. Frunz und Hitz hatten sich gerade Tee aufgesetzt und erzählten sich Witze, um sich wach zu halten, als sie das Gehupe hörten. Sie schauten aus dem Fenster und schnappten freudig ihre Dienstmützen. Es war drei Uhr morgens. Endlich ein Einsatz.

«Versuch doch mal die Tür», rief Hitz, aber Frunz hatte auch schon dran gedacht. Er zog am Griff, die Autotür kam ihm entgegen. Und auch ein seltsamer Geruch. Was war das? Ein Parfüm? Frunz tippte der Frau auf die Schulter. «Guten Abend, Kantonspolizei.» Keine Regung. «Was ist mit ihr?», rief Hitz. «Brauchen wir einen Rettungswagen?» Frunz hob den weissen Lockenkopf der Frau vom Steuerrad und drückte sie zurück in den Sitz. Die Hupe verstummte. Jetzt hörten die beiden Polizisten das Schnarchen. «Potzdonner», rief Hitz, «die zersägt ja einen ganzen Wald.» Frunz stutzte. Wald? Ja natürlich. Es roch nach feuchtem, modrigem Wald. Nach Laub und Moos und alter Rinde. Frunz knipste seine Taschenlampe wieder an. «Was zum Teufel?» Die Frau trug Gummistiefel. An ihnen klebte klumpige Erde. Auf dem Beifahrersitz lagen Gartenhandschuhe. Auf dem Rücksitz eine Schaufel und ein Spaten. «Zürcher Kennzeichen», rief Hitz, «zugelassen auf eine Lilly Binder, und jetzt kommt’s, Jahrgang 1928!» Frunz leuchtete der Frau ins Gesicht. «Hat sich aber gut gehalten.» Er lehnte sich über die Frau, um ans Handschuhfach zu kommen, als diese aufwachte und geistesgegenwärtig ihr Knie anzog. Frunz heulte auf. Nun rammte sie ihm ihren Ellenbogen in den Rücken und schrie um Hilfe.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Hitz und Frunz die Lage unter Kontrolle hatten. Ob sie getrunken habe, wollte Hitz wissen. «Hauchen Sie mich einmal an.» Was er sich erlaube, fragte die Frau. «Gut, bitte aussteigen», sagte Frunz, immer noch mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht. Was sie da mitten in der Nacht vergraben habe? Die Frau blieb sitzen. Schweiss trat auf ihre Stirn. «Meine liebe Frau Lilly Binder, geboren 1928», sagte Hitz, nicht gänzlich frei von Stolz, dass ihm diese Informationen vorlagen, «Sie haben meinen Kollegen gehört, also bitte.» Die Frau schaute ihn ungläubig an. Wo denn seine Manieren seien. Das Alter einer Frau sei in keinster Weise … sie stockte. Es sei wohl die Aufregung. Es gehe bestimmt gleich vorbei. Ein Engegefühl in der Brust. Ein leichtes Kribbeln im Arm. Sie fasste sich an die linke Schulter, ihr Gesicht sackte zusammen. Hitz und Frunz schauten sich an. Die Hand der Frau war zerkratzt und blutig. «Meine Liebsten», stotterte die Frau, als müsse sie jeden Buchstaben einzeln sortieren, «ich habe meine Liebsten im Wald vergraben.» Frunz tastete nach den Handschellen. Da kippte Lilly Binder wieder nach vorn und hupte.






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