Episode 23

Lange Beine

So manch einer ist schon drüber gestolpert…

«Das sind Blüten», sagte Kantonspolizist Hitz. Monika nahm die Hortensien etwas näher zu sich und grinste verlegen. Sie verstand nicht. Die Fahrt in den achten Stock schien ewig zu dauern, es war ihr unangenehm mit diesen Polizisten im Lift. «Verstehen Sie?» liess Hitz nicht locker. «Das erste, was ein Polizist denkt, wenn er Blumen sieht ist: Das sind bestimmt Blüten.» Gespannt wartete er auf die Reaktion der Blumenhändlerin. Monika nickte und zeigte nochmals ihr Grinsen. «Blüten sind gefälschte Geldscheine, müssen Sie wissen. Im Polizei-Jargon.»
«Nun hör aber auf», sagte Frunz und hämmerte mit dem Zeigefinger gegen die 8. «Die gute Frau kriegt ja ein völlig falsches Bild von der Polizei.» Die Blumenhändlerin winkte ab.
«Sagt wer?» erwiderte Hitz gereizt, «unser Mister „Der sich den Wolf tanzt“?» Hitz wandte sich erneut an die Blumenhändlerin. «Sie haben das Video doch sicher auch gesehen, ist überall, sogar die NZZ hat es unterdessen aufgegriffen, der Kollege hier ist berühmt.» Hitz zeigte auf Frunz und begann dessen Tanz nachzuäffen. «Ketchup-Song, kennen sie doch.» Die Blumenhändlerin rang sich ein Lächeln ab. Endlich. Der Lift war angekommen. Die Tür ging auf und Monika schlüpfte als erste raus. Da! Sie sah gerade noch, wie Mark in einem der Zimmer verschwand. Ihr Rufen hörte er nicht mehr.

«Moment, das haben wir gleich, gschhhhh, gschhhhh!» Isabelle, die Krankenschwester, verscheuchte den schwarzen Kater von Pesches Brust und zog den Reformierten Pfarrer an den Beinen unter Lillys Bett hervor. Er sah nicht gut aus. Die Augen komplett zugeschwollen. Die Atmung flach, in der Lunge ein Pfeifkonzert.

«Helfen sie mir bitte, ihn aufzurichten», sagte die Krankenschwester pauschal in den Raum. Marina war sogleich zur Stelle. Trotz ihrer einbandagierten Arme packte sie mit an. Gemeinsam zogen sie Pesche zum Schrank, dort konnte er sitzen und mit dem Rücken anlehnen. Estelle hatte unterdessen ein Handtuch unter den Wasserhahn gehalten, nun tupfte sie dem Pfarrer die schweissnasse Stirn. «Verdammte Katze» nuschelte er, «bringt mich noch ins Grab.» Das Atmen schien ihm leichter zu fallen, er kriegte wieder etwas Farbe. «Das ist der Teufel» hustete Pesche sich frei, «der Leibhaftige.»
«Komm du nur zu mir, mein hübscher», rief Lilly vom Fenster her, schnalzte mit der Zunge und klopfte mit der Hand neben sich aufs Bett. Kater Carlo folgte schnurrend der Einladung. Gerade als er sein Köpfchen auf Lillys Bein legte, flog die Tür auf.

«Wo brennt‘s?!» stürmte Mark Burri herein, und wäre fast über die langen Beine des Reformierten Pfarrers gestolpert, konnte sich gerade noch auffangen, «wo brennt’s?»
«In meinen Augen», sagte Pesche, «und zwar wie die Hölle.» Der reformierte Pfarrer drehte seinen Kopf in die Richtung der Stimme und versuchte die Augen zu öffnen, aber da war nichts zu machen.
«Mark?» sagte Estelle überrascht, «wie kannst du so schnell hier sein?» Sie blickte auf das Handy in seiner Hand, sein PRIVATHANDY, «ich habe dich doch gerade erst angerufen.»
Mark starrte seine Verlobte an. Sie hatte noch immer das nasse Handtuch in der Hand. «Herr Eichelberger?» wandte sich Mark an Pesche, «was tun sie denn hier? Und was ist mit ihren Augen?» Er kannte den reformierten Pfarrer von dessen Tätigkeit als Gefängnisseelsorger, sie hatten auch schon dieselben Klienten. «Kann mir jemand erklären…?»
Es klopfte, und wieder ging die Tür auf. Herein kam Monika mit den Hortensien. Fast wäre sie über die langen Beine gestolpert, die wie zwei ausgestreckte Hunde vor dem Eingang lagen, Mark konnte die Blumenverkäuferin gerade noch auffangen. Sie schälte sich einen Tick zu langsam aus seinen Armen. «Du hast deine Blumen vergessen», sagte sie. In der Stimme einen Tick zu viel Erotik.
«Mark?» fragte Estelle abermals, «wie konntest du so schnell hier sein?»
«Oh», sagte Monika, und starrte Estelle an. Und dann Mark. Und dann dessen Handy. Und dann wieder Estelle. «Die Hortensien sind für sie.» Jegliche Erotik war aus ihrer Stimme gewichen. «Sie haben sich wirklich super gehalten.» Die Augen der Blumenverkäuferin wurden ganz dunkel. «Also sie. Die Blumen nicht. Die sind leider kaputt.» Und dann peitschte sie Mark die Hortensien ins Gesicht. Als wieder die Tür aufflog.
«Wo brennt’s?!» stürmte Kantonspolizist Frunz herein und sprang wie ein Hürdenläufer über Pesches ausgestreckte Beine. «Wo brennt’s?!» stolperte sein Kollege Hitz hinterher, konnte sich nicht mehr auffangen und knallte gegen Marina, rammte sie zur Seite wie ein Rammbock.
«In meinen Augen» sagte Pesche und versuchte sie erneut aufzumachen. Es war zwecklos. «Und mein Hintern», sagte der reformierte Pfarrer und drückte sich stöhnend dem Schrank entlang hoch, der brennt auch immer noch wie Hölle.»
«Wir brauchen einen Arzt», sagte Hitz. Er lag immer noch am Boden. «Schnell. Das Mädchen bewegt sich nicht mehr.»

Alle Episoden abonnieren